18.09.2024

Künstliche Intelligenz wird immer leistungsstärker, verbraucht aber auch immer mehr Rechenleistung und Strom. Quantencomputing steht zwar noch relativ am Anfang, könnte aber der Ausweg aus dem Dilemma sein. IBM sieht den Schlüssel dafür in Diamanten statt Helium.

Das finnische Startup-Unternehmen IQM Quantum Computers hat in München laut Tagesspiegel im Juni 2024 gerade das erste Quanten-Rechenzentrum mit mietbaren Rechenleistungen eröffnet. Aktuell stehen dort vornehmlich für Forschungszwecke, künftig aber auch für Wirtschaft und Politik, zwei Quantencomputer zur Verfügung. Geplant ist, die Kapazität auf zwölf Anlagen auszubauen. Wer diese nutzen will, muss laut Firmenchef und Mitgründer Jan Goetz allerdings mit 1.800 Euro pro Stunde rechnen.

Komplexität der Quantencomputer
Quantencomputer nutzen die Prinzipien der Quantenmechanik, um komplexe Probleme in einem Bruchteil der Zeit zu lösen, die herkömmliche Computer benötigen. Bildquelle: Adobe Stock / FantasyLand86.

Dabei macht Quantencomputing gewaltige Fortschritte. Es bräuchte aber weit mehr als die üblichen 400 Qubits, um komplexere Berechnungen durchzuführen und an die Leistung von Supercomputern heranzukommen, wie Digital Chiefs Anfang 2024 berichtete. IBM hat auf dem Quantum Summit Ende 2023 laut cloudmagazin den eigenen Rekord gebrochen und einen vergleichsweise störungsarmen Quantenprozessor mit über 1.000 Qubits vorgestellt. Der 10-Jahresplan sieht sogar Systeme mit 2.000 Qubits und über einer Milliarde Logikgattern vor.

Viele Möglichkeiten, aber auch neue Gefahren

Der 2022 in Jülich in Betrieb gegangene Quantenannealer von D-Wave bringt es sogar schon auf über 5.000 Qubits. Diese Quantenbits verhalten sich anders als „normale“ Bits, die als kleinste Recheneinheit nur ein- oder ausgeschaltet, mathematisch 1 oder 0, sein können. Die Qubits können dagegen unter anderem dank Verschränkung viele unterschiedliche Zustände zwischen 0 und 1 einnehmen, was die Geschwindigkeit der Datenverarbeitung auf ein völlig neues Niveau heben würde. Wäre da nicht die hohe Fehleranfälligkeit, mit denen Hersteller und Forschende noch zu kämpfen haben.

Logische Qubits, die mehrere physikalische Qubits bündeln, sollen die Fehleranfälligkeit deutlich senken. Gerade sie könnten aber in den falschen Händen auch helfen, herkömmliche Verschlüsselungsverfahren auszubooten. Laut dem Entwicklungsstandbericht des BSI von Ende 2023 bräuchte es für einen Angriff auf ein System mit einer 2048 Bit RSA Verschlüsselung aktuell 20.000 physikalische und 4.098 logische Qubits.

Neues Einsatzgebiet: KI

Bei weiterer Entwicklung könnten Quantencomputer neue Möglichkeiten im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI oder AI) eröffnen – und dazu beitragen, deren immens wachsenden Energiehunger zu stillen sowie die Umwelt zu schonen. Microsofts ChatGPT-Integration in Bing verschlingt wegen der nötigen hohen Zahl von Nvidia-GPUs schon jetzt mehr Energie, als der Konzern aufbringen kann, heißt es bei Hardwareluxx.

Das US-Marktforschungsunternehmen IDC geht in einem im April 2024 veröffentlichten Whitepaper zur erfolgreichen Implementation von High Performance Computing (HPC) davon aus, dass sich Quantencomputing in HPC- und klassischen Hybrid-Umgebungen in Zukunft immer mehr durchsetzen wird. Auch VINCI Energies sowie die Tochtergesellschaften Axians und Actemium haben sich dabei bereits positioniert und in einem Gemeinschaftsprojekt mit D-Wave und QuantumBasel im uptownBasel geholfen, den ersten kommerziell genutzten Quantum-Hub der Schweiz aufzubauen. Dabei galt es unter anderem, mit möglichst wenig Energieverbrauch und Materialaufwand das Optimum an Leistung und Benutzerfreundlichkeit herauszuholen.

KI treibt den RZ-Energieverbrauch massiv in die Höhen

Wie die Tageschau Ralf Herbrich, den Geschäftsführer des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts und Leiter des Fachbereichs KI und Nachhaltigkeit, zitiert, sind Rechenzentren bereits heute für vier bis fünf Prozent des weltweiten Energieverbrauchs verantwortlich. Schätzungen zufolge könnte der Anteil mit KI-Systemen wie ChatGPT bald auf 30 Prozent steigen. Für das KI-Training müssten Hunderte von Grafikkarten jeweils mit 1.000 Watt laufen, und das rund um die Uhr.

Quantencomputer brauchen zwar auch viel Energie, um Helium auf die für die Supraleiter erforderliche Temperatur nahe dem Nullpunkt von 0 Grad Kelvin oder -273 Grad Celsius zu kühlen, sind tendenziell aber viel genügsamer als Supercomputer. Laut Basicthinking war für den Betrieb des 2019 noch leistungsstärksten chinesischen Vertreters Tianhe-2 praktisch ein halbes Wasserkraftwerk nötig. Die jährlichen Energiekosten solcher Boliden liegen demnach im Bereich von mehreren Millionen Euro. Mit einem Quantencomputer mit 25 KW Leistung wären es nur etwa 22.000 Euro im Jahr.

Energiebedarf von Quantencomputern
Quantencomputer verbrauchen zwar viel Energie, ihr Bedarf ist aber weitaus geringer als der von Supercomputern. Bildquelle: Adobe Stock / arthit.

Diamanten statt Helium könnten die Rettung sein

Noch halten sich die Energieersparnisse jedoch in Grenzen. Wie Dr. Mark Mattingley-Scott, der IBM Quantum Ambassador Leader EMEA & AP bei IBM Deutschland, Digitale Welt in einem Interview sagte, brauchen heliumgekühlte Systeme auch viel Strom, diamantbasierte Quantencomputer aber nicht. Synthetisch hergestellt, könnten diese eine günstige Alternative zur aufwendigen und teuren Heliumkühlung werden, zumal sie auch weniger Infrastruktur benötigen. Ein diamantbasierter Quantenbeschleuniger würde dann in einem autonomen Fahrzeug nur noch ein paar hundert Watt verbrauchen, „und das sind nur die Werte von Prototypen“, so Mattingley-Scott. Der IBM-Experte hält Green Quantum Computing für unerlässlich und plädiert für einen branchenweiten Standard, das weltweit umzusetzen.

In jedem Fall bietet Quantencomputing viele Potentiale für die Zukunft. Das Fraunhofer FOKUS in Berlin arbeitet bereits an einem entsprechenden Projekt namens PlanQK, um zusammen mit 14 Partnern eine quantengestützte KI zu entwickeln. Ein mögliches Einsatzszenario: Betrug im Bankensektor nicht nur klassifizieren, sondern auch prognostizieren können. Christopher Savoie, CEO von Zapata AI, verweist in Computerwoche auf die Entwicklung neuer Krebsmedikamente an der Universität von Toronto, die ohne ein quantenbasiertes Modell nicht möglich gewesen wäre. Es bleibt also spannend zu sehen, wie sich Quantencomputing entwickeln wird, nicht weniger spannend sind die Projekte, die durch Quantencomputing erst möglich gemacht werden. Gleichzeitig stehen Forschende einem fast unbändigen Energiehunger gegenüber, den es gilt, umweltfreundlich in den Griff zu bekommen.

 

Quelle Titelbild: Adobe Stock /  Crafty Imago

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